Applaus für Herner Schiedsrichter gibt’s schon vor dem ersten Pfiff!
Integrationsteam der wewole STIFTUNG steht an der Linie beim Kreisliga C-Meisterschaftsspiel zwischen dem SV Sodingen II und Rasensport Wanne II.
Fußball-Schiedsrichter haben es nicht leicht. Bei den Profis, wo jeder Pfiff nicht nur von allen Fans, sondern vermehrt auch vom Video-Assistenten gecheckt wird. Oder bei den Amateuren, wo es zwar keine kalibrierte Linie bei Abseitsentscheidungen und auch keinen „Kölner Keller“ gibt, dafür aber umso mehr Gezerre, Gemeckere oder dumme Sprüche. Dass es auch ganz anders geht, zeigte jetzt ein Projekt der wewole STIFTUNG in Kooperation mit dem Fußballkreis Herne. Erstmals gehörten in unserer Stadt bei einem offiziellen Fußball-Meisterschaftsspiel Menschen mit Beeinträchtigungen zum Schiedsrichter-Gespann. Und sie wurden nicht ausgemeckert, beschimpft oder gar beleidigt – nein, sie erhielten Applaus von beiden Mannschaften, bereits vor (!), aber auch nach dem Spiel.
So geschehen beim Punktspiel der Kreisliga C2 zwischen dem SV Sodingen II und Rasensport Wanne II. Ja, „nur“ die unterste Liga, aber auch in ihr laufen 22 Männer dem runden Ball hinterher, bestreiten mit Hingabe jeden Zweikampf und wollen nur eines – gewinnen. Und darüber entscheidet oft auch der Schiedsrichter (mit). In diesem Fall, auf dem Rasen des Dr. Jovanovic-Glückauf-Stadions, erhielt Referee Michael Trockel tatkräftige Unterstützung vom Schiedsrichter I-Team der wewole. Das „I“ steht für Integration und Inklusion, denn Vivian, Tim, Simon, Christopher und Marvin, alles zwischen 20 und 30 Jahre jung, haben eine geistige oder psychische Beeinträchtigung und werden von dem Teilhaber-Anbieter für Menschen mit Behinderungen betreut.
Stolz, in einheitlicher schwarz-gelber Schiedsrichter-Kluft und mit Fahnen in der Hand, betraten sie den grünen Rasen. Vier waren es, jeder Assistent erhielt seine Spielhälfte, zwei auf jeder Seite. Simon war in den 90 Minuten Ersatz-Schiedsrichter, machte aber alles mit, was schon vor dem ersten Pfiff zu den Aufgaben eines SR-Gespanns gehört: Ist der Platz bespielbar, stehen die Eckfahnen, sind die Linien gekreidet, ist ein Loch im Tornetz? Dies musste überprüft werden, bis hin zur Pass- und Ausrüstungskontrolle bei den 22 Kickern.
Für Hobby-Schiedsrichter Michael Trockel, im Hauptberuf Pfarrer in Castrop-Rauxel, ist sein Gespann wesentlich mehr als weitere acht Augen, die mit ihm das Spiel beobachten. Begeistert, fast euphorisch, erzählt er von gelungenen Generalproben, unter anderem beim VfB Börnig, von einer „echten Weiterentwicklung“ und von der riesigen Freude, die ihm diese Aktion bereitet: „Das Pilotprojekt fand im Fußballkreis Coesfeld/Ahaus statt. Dort holten wir uns Tipps und fanden in der wewole STIFTUNG schnell einen Kooperationspartner. Auch der Fußballkreis Herne unterstützt dieses tolle Projekt, vor allem Schiedsrichter-Obmann Gregor Werkle.“
Und dann pfiff er die Partie an. Vivian und Tim liefen auf der einen, Christopher und Marvin auf der anderen Seite auf und ab, jeder in seiner Hälfte, getrennt durch die Mittellinie. Rollte das Leder ins Aus, hoben sie ihre Fahnen: Einwurf! Abseitsentscheidungen überließen sie ihrem Chef, ebenso die Frage, welche Mannschaft einwerfen darf. Trockel: „Das ist für mich auch nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass sich meine vier Kollegen 90 Minuten konzentrieren, den Ball anschauen und das Spiel beobachten. Das ist für sie schon echt anstrengend.“
Diese Konzentration auf eine Aufgabe, das Dabeisein, das Mitmachen, das Dazugehören sind auch für Christoph Wagner elementare Eckpunkte der Aktion. Der Sozialarbeiter koordiniert gemeinsam mit Thomas Langenbrink-Ochtrop für die wewole STIFTUNG dieses integrative Fußball-Projekt, zu dem auch eine interne Fußball-AG gehört, die sich einmal in der Woche im Horsthauser Sportzentrum trifft. Die Meisterschaftsspiele mit fünf Schiedsrichtern, eine „Regeländerung“, der die beteiligten Vereine im Vorfeld zustimmen müssen, sollen, geht es nach Wagner, nicht einmalig bleiben: „Unser Team macht das gut und vor allem sehr gewissenhaft. Ich kann mir schon vorstellen, dass wir einen Rhythmus von einer Partie im Monat schaffen.“
Ach so: So normal, wie die Spieler mit den vier Linienrichtern umgingen, so normal war das Ergebnis und der Spielverlauf. Die gastgebende SVS-Reserve gewann mit 2:0-Toren, Schiedsrichter Trockel zückte viermal die gelbe Karte, nach 90 Minuten gaben sich alle die Hand, gingen duschen und ließen sich ein Kaltgetränk schmecken. Kreisliga eben – ganz normal!
Fotos: Dirk A. Friedrich